Quantcast
Channel: RennRad - Training
Viewing all articles
Browse latest Browse all 45

Jean-Paul Ballard - Ein Experteninterview über Aerodynamik im Radsport

$
0
0
12.08.2016

Autor(en): 

Aerodynamik: Rennrad aerodynamisch machen

Das Rennrad aerodynamischer machen

Jean-Paul Ballard hat früher Formel-1-Autos entworfen. Heute designt er High-Tech-Laufräder für Weltklasse-Athleten. Ein Gespräch über Aerodynamik, Seitenwind und den „Segeleffekt“.

RennRad: Sie haben viele Jahre in der Formel 1 gearbeitet. Was hat Sie dazu bewogen, in den Radsport zu wechseln?

Jean-Paul Ballard: Als Ingenieur möchte man immer gefordert sein. Leider ist das Reglement in der Formel 1 während meiner Zeit so begrenzt worden, dass man keine Designfreiheit mehr hatte. Das wurde mir mit der Zeit zu langweilig. Schlussendlich war die technische Entwicklung nur noch minimal. Da ich immer schon ein begeisterter Radsportler und Triathlet war, habe ich das Potenzial und die Chance dort erkannt, etwas Neues zu bewegen. 

 

Aerodynamik spielt in der Formel 1 seit jeher eine Rolle. Warum hat es Ihrer Meinung nach so lange gedauert, bis das ganze Potenzial auch im Radsport erkannt wurde?

Aerodynamik ist sehr schwer zu fassen. Gewicht ist dagegen schon immer eine feste Größe. Dabei spielt Gewicht für die Performance eigentlich fast überhaupt keine Rolle. Das zeigen etliche Tests und Berechnungen. Für den Endverbraucher aber ist Gewicht greifbarer als Aerodynamik. Außerdem ist Aerodynamik schwer zu verstehen. Man braucht viel Know-How und muss etliche teure Windkanaltests und Computersimulationen machen. 

Wird man mit dem Wort „Aero“ konfrontiert, denkt man unwillkürlich an Hochprofilfelgen. Welchen Anteil haben die Laufräder an der aerodynamischen Gesamtperformance? 

Der Gesamtwiderstand der Laufräder liegt bei geringen acht Prozent. Im Hinblick auf den berühmten Segeleffekt, also der Luftwiderstandsminimierung durch Seitenwind, machen die Laufräder bis zu 65 Prozent aus. Am meisten Einfluss haben die Felgen aaber auf die aerodynamische Stabilität, also auf das Fahrverhalten. Wenn man bedenkt, dass der Fahrer mit seiner Körperposition 75 Prozent des Luftwiderstands ausmacht, ist es wichtig, dass der Fahrer auch in Aero-Position stabil sitzt und sein Rad jederzeit einfach steuerbar bleibt. 

 

Ihr Unternehmen hat im vergangenen Jahr intensiv mit dem Triathleten Andreas Raelert zusammengearbeitet, der beim Ironman Hawaii sensationell Zweiter wurde. Was haben Sie konkret an Mensch und Maschine verändert?

Andi Raelert konnte mit unserer Zusammenarbeit bei einer um 13 Watt reduzierten Leistung deutlich schneller fahren. Wir haben ihm die neuen Hadron-Ultimate-800-Laufräder zur Verfügung gestellt und viel an seiner Position gearbeitet. Am Rad selbst haben wir einige Profile geändert. Unterrohr, Cockpit und Steuerrohr haben wir komplett neu designt. Auch die Flaschenposition wurde optimiert.

 

In welchen konkreten Schritten gehen Sie bei solchen           Optimierungen genau vor?

Schritt 1 ist die CFD-Simulation. Wir fragen uns: Wo liegen die Bereiche, die am meisten Luftwiderstand verursachen. Durch die Simulationen haben wir die entsprechenden Teile für Windkanaltests gebaut. Im zweiten Schritt haben wir im Windkanal verschiedene Positionen getestet. Wie viel Watt kostet es zum Beispiel, wenn man die Flasche am Rahmen greift und so weiter. Im dritten Schritt haben wir mithilfe eines mit vielen Instrumenten und Messpunkten ausgestatteten Rades das Praxis-Fahrverhalten überprüft. Wie empfindlich sind Fahrer und Rad bei Windböen? Mit Hilfe dieser Informationen haben wir dann anhand unserer Simulationstools mögliche Zeitgewinne berechnet und auf dessen Basis das beste Equipment für den Athleten bereitgestellt.

 

Langdistanz-Triathleten fahren bis zu 182 Kilometer lang in Zeitfahrposition. Wie sind da Aerodynamik und Komfort überhaupt vereinbar?

Das ist definitiv möglich. Wir haben beispielsweise für Andreas Raelert im Windkanal eine noch bessere aerodynamische Position ermittelt. Er hat sich allerdings dagegen entschieden, da diese nicht die bequemste Position für ihn war. Er hat die zwei bis drei Watt Mehraufwand zugunsten von mehr Komfort und einer optimierten Kraftentfaltung über die lange Wettkampfdauer in Kauf genommen. Das ist natürlich sinnvoll, denn die optimale Sitzposition auf dem Rad – egal ob auf einem Triathlon- oder einem Rennrad – ist immer ein Kompromiss zwischen der maximal möglichen Aerodynamik und dem Komfort, der nötig ist, um lange die optimale Leistung bringen zu können.

 

Welchen Anteil hat die Sitzposition generell an der Gesamtperformance im Radsport?

Die Oberkörperposition ist das allerwichtigste. Es geht darum, die Frontalfläche zu minimieren. Dort gewinnt man am meisten. Das gilt für Radsport wie Triathlon gleichermaßen. Wir sehen, dass der Fahrer 75 Prozent des Gesamtwiderstands ausmacht. Daher macht der Fahrer auch 75 Prozent der Gesamtperformance aus. 

 

Aero-Räder scheinen derzeit im Trend zu liegen. Gibt es Belege, dass man damit wesentliche Zahlen an Wattleistung einsparen kann?

Wir sprechen von 40-50 Watt Unterschied zwischen einem Rundrohrahmen und einem Aero- oder Zeitfahrrad, gemessen jeweils bei 45 Kilometern pro Stunde. 

In welchem Bereich kann man noch durch aerodynamische Optimierungen Watt und damit Zeit einsparen?

Trikot und Hose sind sehr wichtig. Wir haben gesehen, dass es zwischen einem schlechten Zweiteiler und einem guten Einteiler bis zu 15 Watt Unterschiede gibt. Man sieht in letzter Zeit verstärkt Helme mit kürzerem Ende. Auch mit dem richtigen Helm kann man viel an Zeit gewinnen. Die Hersteller haben außerdem erkannt, dass im Cockpit noch sehr viel herauszuholen ist. Wir sehen dort einen Trend hin zu mehr Integration, verkleidete Bremsen, minimale Lenkerüberhöhungen mit Aero-Position und vieles mehr.

 

Welche aerodynamischen Tipps würden Sie Jedermann- und Hobbyfahrern mit auf dem Weg geben?

Diese Sportler können am meisten von neuen Laufrädern profitieren. Stichwort Segeleffekt. Die Laufräder machen 65 Prozent des Gesamtpotenzials aus. Neue Laufräder sollten also der erste Schritt sein. Relativ günstige Upgrades sind im Bereich der Bekleidung möglich. Eng sitzende Triktos, bessere Helme, Aero-Flaschen und so viel wie möglich auf Integration am Rad setzen. So sollte man zum Beispiel beim Lenker-Upgrade auf die Kabelintegration im Cockpit achten.

 

In letzter Zeit ist eine hitzige Diskussion um Scheibenbremsen am Rennrad entstanden. Bringt die Disc wirklich so große aerodynamische Nachteile?

Kurz gesagt: Ja. Wir haben auch mit Scheibenbremsen schon einige Aerodynamik-Tests durchgeführt und herausgefunden: Die Disc ist aerodynamisch schlecht. Damit gehen einige Watt verloren. Wenn Aerodynamik der wichtigste Leistungsparameter ist, dann bringt die Disc hier sicher nichts, sondern macht Einsparungen woanders wieder wett. Wir haben uns bei unseren Testreihen auch mit Straßenprofis unterhalten und gefragt, ob sie wirklich schneller bremsen können auf den Abfahrten. Viele haben dies verneint. Mittlerweile kann man mit Felgenbremsen fast die gleiche Bremskraft erzeugen.  //

 

 

Jean-Paul Ballard ist Diplom-Ingenieur und Geschäftsführer des Laufradherstellers Swiss Side aus der Schweiz. Zuvor war der er sieben Jahre lang als Entwicklungsingenieur beim Formel-1-Rennstall BMW-Sauber angestellt. Dort spielte Aerodynamik schon immer eine gewichtige Rolle. Nach seinem Ausscheiden aus dem Motorsport hat der Hobby-Triathlet Ballard kurzerhand seine eigene Firma gegründet. Swiss Side hat sich auf die Herstellung von aerodynamisch optimierten Hochprofil-Carbon-Laufrädern für den Triathlon- und Rennrad-Sport spezialisiert.  

 

 

Quelle: 

Foto: Markus Greber

News: 

In News anzeigen

Viewing all articles
Browse latest Browse all 45