RennRad:Aerodynamik im Radsport ist Dein großes Thema. Welches Potenzial liegt darin?
Lars Teutenberg: Der Bereich Windwiderstand hat für alle sportlichen Radfahrer enormes Potenzial. Wenn alles stimmt, man sein Setup optimal verändert, sind das bei 45 km/h Dimensionen von 20 Prozent der Leistung oder 50 Watt, die man sparen kann. Das sind dann bei gleicher Leistung mal locker drei km/h mehr.
Liegt das Potenzial vor allem in einer besseren Sitzposition?
Auch. Der Fahrer stellt die größte Windangriffsfläche dar, also kommt es stark auf seine Sitzposition an, dazu auf den Helm und die Kleidung. Dann auf die Reifen und Laufräder, wobei die Reifen fast noch wichtiger sind als die Räder.
Wenn man das Wort „Aero“ hört, denkt man doch unwillkürlich sofort an hohe Felgen.
Schon, aber für mich sind die Reifen das Tuningobjekt Nummer eins. Die verursachen nicht einmal Extrakosten, da sie sowieso ein Verschleißprodukt sind, das man regelmäßig austauschen muss. Wobei nicht der teuerste Reifen auch automatisch der beste ist, der günstigste Reifen nicht der langsamste.
Früher waren 19 Millimeter schmale Reifen der Standard beim Zeitfahren. Und heute?
Schmal und Schlauchreifen, das war früher normal, ja. Heute warte ich in Sachen Tubeless noch auf die nächste Generation. Die aktuellen Tubeless-Reifen sehe ich eher für das Training. Deshalb empfehle ich für Zeitfahren und flache Strecken Faltreifen, 23 Millimeter. Alpenmarathons stellen hier Ausnahmen dar, denn Schlauchreifenfelgen haben, was Hitzeentwicklung angeht, immer noch einen Sicherheitsvorteil gegenüber Clincher-Felgen aus Carbon.
Gerade bei den Laufrädern sind die Unterschiede zwischen „normalen“ und Aero-Modellen enorm. Muss es die 80 Millimeter hohe Felge sein?
Nein, solche Laufräder sind schon sehr speziell und auch nicht immer einfach zu steuern. 60 Millimeter hohe Felgen sind dagegen voll alltagstauglich. Dazu sollten sie wegen des Luftwiderstandes und der Übergänge zu den Reifen eher breit gebaut sein. HED hat hier gute Angebote, DT Swiss auch, da gibt es Laufräder im Programm, das Modell Spline 55 zum Beispiel, die relativ kostengünstig sind, super rollen und auch im Vergleich zu ganz hohen Aero-Felgen sehr schnell sind. Es gibt aber etliche Aero-Laufräder auf dem Markt, deren Vorderrad ich nur sehr ungern über längere Strecken fahren würde. Da ist das Handling bei starkem Wind sehr schlecht. Vor dem Kauf sollte man seine potenziellen neuen Laufräder also wenn möglich an einem böigen Tag testen.
Zurück zum Thema Sitzposition. Gibt es hier einfache Tipps für eine bessere Aerodynamik?
Viele Hobbyfahrer sitzen viel zu kurz auf dem Rennrad. Weil der Vorbau sehr kurz ist, schieben viele dann noch den Sattel noch vorne, was zu einer schlechten Kraftübertragung führen kann. Meine Erfahrung ist: Länger zu sitzen ist besser, als mit sehr großen Sattelüberhöhungen zu arbeiten. Es ist angenehmer für den Nacken und den Rücken. Allerdings liegt auch mehr Gewicht auf den Händen. Wer dort Probleme hat, sollte eine solche Position also meiden. Zudem kann es Sinn machen, die Sattelspitze leicht nach unten zu stellen.
Wie sitzen denn die von dir betreuten Radprofis auf dem Rad?
Gestreckt und schmal. Nur ganz wenige Radfahrer brauchen wirklich einen 44er-Lenker. Die wenigsten haben wirklich so breite Schultern. Im Profibereich fahren sehr viele einen 40 Zentimeter breiten Lenker. Adam Hansen (Lotto Soudal) fährt trotz seiner stabilen Statur sogar nur einen 38er-Lenker.
Das Thema Komfort spielt bei den Profis vermutlich nur eine sehr geringe Rolle. Es passt auch nicht wirklich gut mit Aerodynamik zusammen, oder?
Doch, da gibt es durchaus Kompromisse. Man kann komfortabel sitzen, ohne dass man die Aerodynamik stark verschlechtert. Ich hatte schon Tests, nach denen wir die Athleten auf dem Zeitfahrrad vier Zentimeter höher gesetzt haben – und sie waren danach trotzdem schneller.
Wie läuft ein solcher Test ab?
Wir montieren ein SRM Powermeter ans Rad und testen die Wattzahlen in der Ausgangsposition und später mit den Veränderungen. Dabei wird in sehr kleinen Schritten vorgegangen. Wir schauen dann, wie sich die Wattzahlen bei denselben Geschwindigkeiten verändern.
Also kennst Du auch die Effekte der einzelnen „Aero-Accessiores“, wie zum Beispiel den neuen Trend bei den Profis zu aerodynamischen Helmen, die auch außerhalb der Zeitfahren getragen werden.
Die haben durchaus ihre Berechtigung. Wenn man schnell fährt, lassen sich damit schon fünf bis zehn Watt sparen. Bei hohen Geschwindigkeiten sind die sogar ganz gut belüftet. Für eine Hochgebirgsetappe bei 30 Grad würde ich sie aber nicht empfehlen.
Und reine Zeitfahrhelme: lang oder sehr lang?
Die Länge ist von der Kopfhaltung abhängig. Wenn der Kopf auf dem Rad oft nach unten zeigt, sollte der Helm recht kurz sein. Radprofis fahren aktuell häufig Helme mit integrierten Visieren. Triathleten dagegen fahren Aero-Helme und normale Brillen, weil es bei ihren langen Strecken noch mehr auf die Belüftung ankommt. Radprofis fahren kürzere Strecken, aber dafür oft einen 50er- Schnitt, da bringen die Visiere vielleicht ein, zwei Watt.
Und der Rahmen selbst: Zeitfahrrad oder Aero-Rennrad?
Aero-Rennradrahmen der neusten Generation – wie das Specialized Venge, das Scott Foil oder das Cervélo S5 – kommen den reinen Zeitfahrrahmen schon sehr nahe. Einsparungen von zehn Watt sind bei aerodynamisch optimierten Rahmen gut möglich. Wenn man aber Watt pro Euro rechnet, ist das natürlich ein teurer Vorteil. Generell sollte man bedenken, dass man auf moderaten Strecken ein Kilogramm Mehrgewicht durch aerodynamische Vorteile locker wieder wettmachen kann.
Wattsparmöglichkeiten tun sich auch dort auf, wo man nicht daran denkt. Stichwort: flatterndes Trikot.
Ja, natürlich kostet es einige Watt, mit komplett offenem Trikot zu fahren. Berghoch weniger, da hier die Geschwindigkeiten niedriger sind. Zudem ist es auch eine gute Idee, bei hohem Tempo gezielt öfter mal in Unterlenkerposition zu fahren. Das kann man gut im Training üben und es ist effektiv.
Apropos Training: Du bist neben deinem Beruf quasi als Hobby noch einer der besten Zeitfahrer Deutschlands. Bei der DM 2014 waren nur Tony Martin und Nikias Arndt vor dir. Wie trainierst du speziell für mehr Tempohärte?
Ich trainiere viel weniger als früher, aber dafür intensiver, oder anders gesagt: qualitativ besser. Zum Beispiel haben wir bei meinem Arbeitgeber Scott die Tradition, in der Mittagspause Rad zu fahren. Eine Stunde. Renntempo. Das ist dann kein „lunch ride“, sondern ein „lunch race“. Trainingstechnisch einfach ein Fahrtspiel. Attackieren, ans Limit gehen – und trotzdem Spaß haben. Wenn man nicht der Schwächste ist (lacht).
Also weniger, aber dafür intensiveres Training?
Früher hat man seine Stunden und Kilometer oft „abgesessen“, heute trainiere ich viel effizienter. Auch weil ich meistens nur an drei Tagen in der Woche aufs Rad kann. Am Powermeter sehe ich, dass ich jetzt 95 Prozent der Zeit durchtrete. Man kann auch mal in den Abfahrten 300 Watt fahren, mit einer sehr hohen Trittfrequenz. Und die moderne Trainingsmethodik arbeitet sehr viel mit höchsten Intensitäten. Wechselintervalle, VO2max-Intervalle oberhalb der anaeroben Schwelle. Man muss nicht unbedingt allein Intervalle fahren, mental einfacher wird es, wenn man das in der Gruppe macht, als Paarzeitfahren zum Beispiel oder im Belgischen Kreisel.
Zeitfahren bedeutet höchste Intensität, höchste Intensität bedeutet: große Schmerzen.
Nicht unbedingt. Nur wenn man zu schnell losgefahren ist und mit seinem Laktat umgehen muss. Man sollte eher so losfahren, dass man zunächst nicht in den anaeroben Bereich kommt und sich das dann fürs Finale aufsparen kann. So wie es Jens Voigt bei seinem Stundenweltrekord gemacht hat. Jack Bobridge, der es danach versucht hat, ist mit mehr als 54 km/h losgefahren und kam mit weniger als 52 km/h ins Ziel. Das ist nicht so sinnvoll. Fährt man sein Finale am Anfang, bedeutet das verdammt große Schmerzen für eine lange Zeit. |||||
Trainingstipps
Warmfahren: 20 Minuten im Grundlagenbereich
Wechselintervalle: Zweimal sechs bis zehn Minuten. 30 Sekunden (wahlweise auch 40 Sekunden bis zu drei Minuten) Belastung bei circa 110 bis 120 Prozent der Schwellenleistung, 15 Sekunden Pause, 30 Sekunden Belastung und so weiter. Generell gilt: Die aktive Pause (im Grundlagentempo) sollte halb so lang sein wie die Belastung
Ausfahren: 20 Minuten im Grundlagenbereich