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Die Zeit der langen, ruhigen Grundlageneinheiten ist vorbei – ab jetzt geht es zur Sache. So könnte man die Trainingsempfehlungen, um möglichst schnell in Form zu kommen, nonchalant zusammenfassen. Dies gilt für fast jeden Radfahrer, egal, ob das Saisonziel Alpenüberquerung, RTF, Ortsschildsprintsieg beim Gruppentraining, Radmarathon, Jedermann- oder Lizenzrennen heißt.
Bis spätestens zum Ende des Frühjahrs sollte die Basis gelegt worden sein: das Aufbauen einer guten Grundlagenausdauer durch längere, wenig intensive Trainingseinheiten. Ab dann kommt man an einem kaum vorbei: Intervallen. Nicht nur für Rennfahrer, sondern auch für Hobbyfahrer, die ihr Training in einen schon vollen Zeitplan integrieren müssen, ergibt diese Trainingsform Sinn.
So – mit anderen Qualitäten und Quantitäten – gehen auch die Radprofis vor. Je näher die Saisonhöhepunkte rücken, desto intensiver werden die Einheiten – natürlich unter Berücksichtigung der individuellen Regenerations- und Tapering-Phasen.
Individuelle Intervalle
Bei den Intervallen selbst kann jeder, je nach seinem Leistungsstand und seinen Zielen, kreativ sein. Die Möglichkeiten sind grenzenlos. Die Profis des britischen Teams Sky um die Tour-de-France-Sieger Bradley Wiggins und Chris Froome setzen etwa auf viele verschiedene Intervall-Formen. So baut Ben Swift regelmäßig zwei Mal 20-minütige oder vier Mal zehnminütige intensive Intervalle in sein Training ein. Sich selbst „rennbereit machen“ nennt er das. Auch für Swifts Teamkollegen Ian Stannard, ehemaliger britischer Meister und zweimaliger Sieger bei Omloop Het Niewsblad, gehören Intervalle zum Alltag. Er baut immer dieselben Anstiege in seine Runden ein, er kennt die Zeiten, die er an guten Tagen für diese Steigungen benötigt, er kennt seine Wattzahlen. Doch er fährt an diesen zwei langen Bergen nicht stur bei 85, 90 oder 95 Prozent seiner maximalen Leistung. Er variiert – und orientiert sich dabei penibel an seinen Trainingszonen.
Stannard bleibt bei jedem dieser Intervalle zunächst knapp unterhalb seiner anaeroben Schwelle, steigert dann die Intensität noch weiter, um dann gegen Ende wieder knapp unterhalb der Schwelle weiterzufahren. Der Grundgedanke dahinter ist, eine Rennsituation zu simulieren: Man fährt bereits ein hohes Tempo, muss dann eine Attacke mitgehen, kommt deshalb in den „sauren“, anaeroben Bereich der Energiegewinnung in den Muskeln, kann sich davon aber nicht wirklich erholen, da man in sehr hohem Tempo, nur knapp unterhalb der Schwelle zu jenem aneroben Bereich weiterfahren muss. Näher am Rennen und härter kann eine Trainingsform kaum sein.
Der Trainer des Teams Sky, Tim Kerrison, ist bekannt für seine Kreativität bei der Trainingsplanung. Er kam aus dem Schwimm- in den Radsport und formte Bradley Wiggins und Christopher Froome zu Tour-Gewinnern. Er nennt die oben beschriebene Trainingsform „spiked efforts“, frei übersetzt meint dies etwa „erhöhte Anstrengungen“. Und hier ist der Name wirklich Porgramm.
Intensiv und intensiver
Der Hintergrund: Früher galt Laktat als schlecht, als Stoff, der den Muskel übersäuern lässt, dem Sportler Schmerzen bereitet und seine Leistung limitiert. Laktat fällt immer dann im Muskel vermehrt an, wenn die Energiebereitstellung anaerob erfolgt. Also bei hohen Intensitäten, wenn ein Sportler seine anaerobe Schwelle (ANS) überschreitet. Seit einigen Jahren setzt sich nun mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass Laktat auch ein Energieträger ist. Es wird direkt im Muskel verstoffwechselt. Bei Trainingseinheiten wie den „spiked efforts“ provozieren die Profis absichtlich eine hohe Laktatproduktion. Indem sie dann knapp unterhalb der ANS weiterfahren, kann das Laktat im Muskel verarbeitet werden.
Für einen Einsteiger, der noch nicht sehr viele Radkilometer und keine Rennen absolviert hat, ist ein solches Training in der Regel noch nicht geeignet. Es erfordert eine Grundlage, man muss seine Trainingszonen kennen – diese werden bei den Profis regelmäßig durch Leistungsdiagnostiken im Labor überprüft –, man muss seinen Körper kennen, seine Reaktionen interpretieren können, man muss sein Training überwachen und die Daten – Profis arbeiten hier mit Wattmesssystemen am Rad – interpretieren können und nicht zuletzt: Man muss hart gegen sich selbst sein. Intervalltraining, besonders in einer solchen Form mit nur wenigen Pausen, ist psychisch fordernd.
Ebenso ist es mit anderen Intervallformen, die in den vergangenen Jahren unter den Radsportrainern und -profis immer populärer wurden: HIT und das Training am Sweet Spot. Nach der traditionellen Trainingslehre werden Intervalle in den Bereichen Ga2 (Grundlagenausdauer zwei), EB (Entwicklungsbereich) und SB (Spitzenbereich) absolviert.
Relativ jung, dafür umso angesagter ist der Begriff des „Sweet-Spot-Trainings“. Auch bei dieser Methode geht es darum, die Leistung an der ANS zu verbessern, die Schwelle also „nach rechts zu verschieben“, wenn man die Leistungskurve einer Labordiagnostikauswertung betrachtet. Es soll ähnliche Anpassungseffekte des Körpers wie (intensives) Grundlagentraining hervorrufen – aber effektiver sein. Die Trainingseinheiten können so kürzer werden. In den USA, wo der Sweet Spot ursprünglich als ideale Trainingsintensität propagiert wurde, definierte man ihn bei rund 90 Prozent der „threshold power“. Am einfachsten lässt er sich entsprechend mit einem Powermeter bestimmen. Nimmt man die Herzfrequenz als Indikator, kann man hier von einer Zahl ausgehen, die bei rund 95 Prozent der Herzfrequenz bei der ANS liegt.
Qualität und Quantität
Radprofis richten sich immer nach den Daten ihres Powermeters und nach den Anweisungen der Trainer, die diese Daten interpretieren. Einer der großen Unterschiede zwischen dem Training eines Radprofis und dem eines Hobbysportlers ist die Variabilität und Kreativität, der Abwechslungsreichtum.
Ab einem gewissen Leistungsniveau verlangt der Körper nach neuen Reizen. Bradley Wiggins begann seine Karriere als Verfolgungsspezialist auf der Bahn, für die Olympischen Spiele 2016 will er dorthin zurückkehren. Die wichtigste Trainingseinheit für die 4000-Meter-Verfolgung war dieselbe, mit der sich auch der frühere Sieger von Paris-Roubaix, Magnus Backstedt, auf eben jenes Rennen vorbereitete: 30-sekündige Intervalle. Auf der Bahn, der Straße oder dem Hometrainer. Diese kurzen, hochintensiven Intervalle firmieren unter dem Namen „HIT – high intensity training“. Was dies im Trainingsalltag bedeutet, ist schnell erklärt: kurz und heftig. Kurze Intervalle, höchste Belastungen, kurze Gesamttrainingszeiten.
Neben der anderen Qualität des Profi-Trainings ist natürlich auch die Quantität eine andere: So verriet etwa Tour-Sieger Wiggins, dass er während eines zweiwöchigen Trainingslagers rund um den 3.718 Metern hohen Tejde auf Teneriffa 32.000 Höhenmeter abgespult habe. Der Höhepunkt des Trainingslagers: Eine Sechs-Stunden-Einheit, mit 5.000 Höhenmetern, ganze 90 Minuten davon fuhr Wiggins an der anaeroben Schwelle. Ziel der Einheit: die Simulation der Königsetappe der Tour de France.
Später im Jahr, zwischen dem 1. April und dem Start der Tour de France, sammelte er noch weitere 100.000 Höhenmeter. Und noch etwas ist bei den Profis anders: die Wettkampfhärte. „Wettkämpfe machen schnell“, lautet eine alte Radfahrerweisheit – und an ihr ist durchaus Wahres dran. Radprofis fahren zwischen 60 und 180 Radrennen im Jahr – dies kann man nicht im Training simulieren. Thibaut Pinot etwa, der dritte der Tour de France 2014, kam in sechs Jahren auf 1727 Einheiten, davon 481 Radrennen und 68 Zeitfahren. Zu diesen sechs Jahren zählten teilweise auch noch seine Jahre als U23-Fahrer.
Es gibt demnach viele Erklärungen für die Leistungswelten, die Radprofis von Normalsterblichen unterscheiden. Doch mit etwas Willen, Disziplin, Fleiß, Kreativität und Körpergefühl kann jeder Radfahrer einen Leistungsschritt in die richtige Richtung machen. |||||
„Klassische“ Intervalle im EB
Hier gibt es etliche Varianten. Ein Beispiel für eine klassische Tainingseinheit im Entwicklungsbereich wäre: Fünf Mal drei Kilometer mit einer Intensität von 85 bis 90 Prozent der maximalen Herzfrequenz und fünf- bis zehnminütigen Pausen. Natürlich können auch kürzere, noch intensivere Intervalle (etwa sechs Mal drei Minuten) im Spitzenbereich eingestreut werden.
Schwellenkreuz-Intervalle
Hochintensive längere Sprints am Berg. Dauer eines Intervalls: 40 Sekunden, davon zehn Sekunden harter Antritt, danach wird dieses hohe Tempo für weitere 30 Sekunden gehalten. Erst dann wird für weitere vier bis zehn Minuten mit einer Intensität, die etwa fünf bis zehn Prozent unterhalb der ANS liegt, weitergefahren.
Team-Sky-Intervalle
Was man benötigt: einen Anstieg, den man bei maximaler Geschwindigkeit in zehn bis 20 Minuten bewältigen kann – oder alternativ: einen Heimtrainer mit einstellbarem Widerstand.
Der Ablauf: 20 Minuten Warmfahren mit hoher Trittfrequenz – ab dem Fuß des Berges fünf bis zehn Minuten lang (je nach Gesamtlänge des Anstiegs) mit einer Intensität von etwa fünf Prozent unterhalb der anaeroben Schwelle fahren – eine bis zwei Minuten eine Attacke simulieren, deutlich oberhalb der ANS – danach zwei bis vier Minuten wieder rund fünf Prozent unterhalb der ANS – und so weiter im Intensitätswechsel bis zum Gipfel.
Intervalle am Sweet Spot
Hier lassen sich alle erdenklichen Umfänge in ein Grundlagentraining einbauen. Zum Beispiel eine ganze Einheit von 90 Minuten am Sweet Spot. Anfangs sind Intervallformen einfacher umzusetzen. Etwa dreimal 20 Minuten mit ebensolangen Pausen. Oder das Fahren mehrerer Anstiege – etwa fünfmal vier Kilometer – immer im Sweet-Spot-Bereich mit bis zu 15-minütigen Pausen im Grundlagenbereich.
HIT-Intervalle
Auch hier sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt. Ein besonderes Beipiel für ein mit 100-prozentiger Intensität durchgeführtes Training sind die „russischen Stufen“: 20 Minuten Warmfahren; 15 Sekunden Intervall, 45 Sekunden aktive Pause, 30 Sekunden Intervall, 30 Sekunden aktive Pause, 45 Sekunden Intervall, 15 Sekunden aktive Pause, 60 Sekunden Intervall, 60 Sekunden aktive Pause; und entsprechend geht es wieder in 15-Sekunden-Schritten zurück; 20 Minuten Ausfahren.