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Leistungsreserve Regeneration - Mut zur Pause

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28.10.2015

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Das Radtraining wird immer komplexer und auch intensiver. Starke Teilnehmerfelder, harte Rennen und Radmarathons mit vielen Höhenmetern: Ötztaler, Highlander, Alpenbrevet oder einfach nur lange, harte Touren – vielen geht es darum, immer besser zu werden. Je höher Sie Ihre Ziele setzen, umso größer wird die Bedeutung von Intervalltraining. Hinzu kommen noch das Sammeln von Grundlagenkilometern, extensive Intervalle, Kraft- und Athletiktraining. 

Während wir in der Sportwissenschaft viele Informationen zu den notwendigen Trainingsumfängen und der Trainingsqualität gewonnen haben, kommt die Frage nach der richtigen Regeneration oft zu kurz. Dabei steckt gerade in der optimalen Erholung noch immer großes Potential für die Leistung auf dem Rad.

Regeneration ist Reparatur

„In der Pause wächst der Muskel“ – dieser aus dem Krafttraining entlehnte Merksatz trifft auch auf Radsportler zu. Allerdings ist das Erholen von einer Trainingsausfahrt ein sehr vielschichtiger Vorgang. Er beschränkt sich nicht allein auf das Wiederauffüllen der Kohlenhydratspeicher in den Muskeln. Auch der Flüssigkeitshaushalt und wichtige „Reparationsprozesse“ gehören zur Regeneration. Training besteht aus sehr komplexen Belastungen und vielen verschiedenen Systemen, die wiederhergestellt werden müssen. Das Herz-Kreislauf-System und die Muskeln leisten Höchstarbeit. Durch die wirkenden Kräfte können in den Muskeln einzelne Strukturen einreißen. In der Regenerationsphase wird also immer auch geschädigtes Muskelgewebe repariert. Dies ist die Grundlage für Muskelwachstum und eine wichtige Basis für die Wirkung des Trainings. Auch Muskelkater wird durch eine große Anzahl dieser Mikroverletzungen ausgelöst, ist aber im Radtraining aufgrund der fehlenden „exzentrischen“ Belastungen eher selten.

Baustoffe, Energie und Flüssigkeit

Regeneration ist nicht nur für die Muskeln und mögliche Anpassungen des Energiestoffwechsels von Bedeutung, sondern auch für die passiven Strukturen: Knochen, Sehnen und Bänder verfügen nur über sehr geringe Stoffwechselaustauschraten und benötigen viel längere Regenerationszeiten als etwa die Energiespeicher. Wenn Sie Entzündungen und Überlastungen vermeiden und gleichzeitig Ihre Leistung steigern wollen, müssen Sie Ihren Körper mit wichtiger Energie und Baustoffen versorgen. Bereits unmittelbar nach dem Training beginnt Ihr Körper mit den vielen verschiedenen Wiederherstellungsprozessen. In den ersten Minuten nach einem Training ist die Aufnahmefähigkeit des Körpers erhöht. Deshalb ist es sinnvoll, in dieser Phase einen kleinen Snack zu essen, der Eiweiß und Energie liefert. Beispiele wären Milchreis ohne extra Zucker, Müsli mit Milch und Joghurt oder ein Brot mit Hüttenkäse. Eine Studie mit Läufern konnte zeigen, dass bei hochintensivem Training auch Molkenprotein die Erholung unterstützen kann. Neben der Ernährung brauchen Sie in Phasen sehr harten Trainings aber noch etwas essentiell Wichtiges: den Mut zur Pause. Wer glaubt, alleine in der Härte eines Trainings liege die Wirkung, gerät möglicherweise schnell in den Teufelskreis des Übertrainings und verliert dann trotz harter Trainingseinheiten an Leistungsfähigkeit. Achten Sie also auf genügend Schlaf und lassen Sie ruhig auch mal eine Trainingseinheit ausfallen oder planen Sie ausreichend „Entlastungsphasen“ ein, in denen Sie wenn überhaupt, dann nur reduziert und locker trainieren.

Komplexer Ablauf

Zu den zeitlichen Abläufen der Erholung eines Radsportlers können keine pauschalen Angaben gemacht werden. Man kann also nicht sagen, dass einem harten Intervalltraining eine bestimmte Anzahl an Ruhetagen folgen muss. Schon allein die subjektive Alltagsbelastung ist eine wichtige Einflussgröße, die die Erholung unter Umständen verlängern kann. Ihr Körper unterliegt zudem unterschiedlichen zeitlichen Verläufen in der Erholung: Während sich Ihr Herz-Kreislauf-System beispielsweise innerhalb weniger Tage nach einem Marathon komplett regeneriert hat, kann die Regeneration auf muskulärer Ebene mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Abhängig ist die Dauer der Erholungsprozesse von der Trainingsphase, der Ruhe und dem Ersatz von Baustoffen und Energielieferanten. Dazu benötigen Sie jedoch keinerlei speziell angepriesene Supplementierung, sondern sollten sich auf eine klug zusammengestellte Nahrungsmittelauswahl verlassen.

Lässt sich Erholung messen?

Das Messen des Ruhepulses oder das Erfassen Ihrer Herzfrequenzvariabilität mit Hilfe moderner Herzfrequenzcomputer soll Ihren Erholungsgrad messen. Allerdings zeigt sich bei genauerer Analyse aller Verfahren, dass es keine zuverlässigen Informationen zur Erholung geben kann. Zu groß sind die verschiedenen Einflussgrößen, sodass bereits ein Streit mit dem Partner oder Stress bei der Arbeit die Herzfrequenzvariabilität stark beeinflussen kann. Wenn Sie sich nach diesen Methoden richten, besteht die Gefahr, dass Sie zu viel oder zu wenig Regenerationszeit einplanen, da es derzeit keinen sicheren Nachweis für die Wirkung solcher Methoden gibt. Wenn Ihre Pulsuhr nach einer Trainingseinheit Pausen verordnen möchte, sollten Sie skeptisch bleiben. Auch sportmedizinische Ansätze, bei denen Blutparameter gemessen werden, sind bei genauerer Betrachtung unzureichend. Einzelne Blutparameter können keine solide Auskunft liefern. Weder der Harnstoff noch das Muskelenzym Creatinkinase lassen Aussagen zu Ihrer Erholungsfähigkeit zu, es sei denn, es sind individuelle Verläufe über längere Zeiträume bekannt.

Kälte als Beschleuniger?

Massagen oder Kälteanwendungen gelten als regenerationsfördernd. Aber halten diese Methoden auch, was sie versprechen? Gerade Massagen erfreuen sich bei Sportlern großer Beliebtheit und bei vielen Granfondos oder Radmarathons organisieren die Veranstalter Massagen im Zielbereich. Berücksichtigt man jedoch die Studienlage zu dem Thema, müssen wir feststellen, dass Massagen weder die Regeneration verbessern noch wirkungsvoll Muskelkater beeinflussen können. Zwar gibt es positive Effekte – aber eben nicht messbar im Hinblick auf die „Erholung“. Kältebäder scheinen hingegen bei manchen Radsportlern zu wirken und tatsächlich einen Einfluss auf die Regeneration zu haben. Wie kalt dabei die Abkühlung sein muss oder ob Eis möglicherweise nicht eher schädigend wirkt, ist aktuell noch nicht abschließend geklärt – es bleiben viele Fragen offen.

Ruhephase

Aktives Erholen, also Ausfahrten mit lockerem Pedalieren und Entspannung, scheinen die Regeneration effektiv unterstützen zu können. Zudem sollten Sie unbedingt einmal im Jahr eine Übergangsphase einplanen, in der Sie sich ausgiebig erholen. Gerade nach dem letzten Jedermannrennen in Münster bietet es sich an, eine Regenerationsphase einzuplanen und erst einmal „alternative“ Bewegungsformen zu trainieren. Machen Sie in diesem Trainingsblock aber nicht einfach „nichts“, sondern starten Sie ein neues Programm. Mut zur Pause bedeutet eben nur, dass Sie nicht gezielt in Ihrem Sport trainieren – bewegen dürfen Sie sich natürlich gerne. 

 

Viele Radprofis setzen nach ihrer Saison auf Skilanglauf oder Skitourengehen. Joggen, Schwimmen, Ballsport, Krafttraining im Studio, all das kann in dieser Phase des Jahres auch für die ambitioniertesten Radsportler sinnvoll sein. Eine solche Phase kann dabei helfen, nicht nur den Körper zu regenerieren, sondern auch den Geist.  |||||

 

Infos zum Autor

 Dennis Sandig, M.A., ist Sportwissenschaftler bei iQ athletik, Institut zur Trainingsoptimierung. Er betreut Jedermann- wie Profifahrer, u. a. das Team Leopard Trek.

 

 
Regeneratios - Tipps
 
Aktive Erholung: Ausfahren direkt nach einer harten Einheit (zum Beispiel 20 Minuten auf der Rolle) oder Fahren im Kompensationsbereich (1,5 Stunden bei höchstens 60 Prozent der maximalen Herzfrequenz) am Tag nach einem Rennen 
 
- Eiweiß- und kohlenhydratreicher Snack: zum Beispiel Müsli mit Joghurt und Milch, direkt nach einem längeren, intensiven Training
 
- Ebenfalls hilfreich: Recovery-Drinks mit einem Kohlenhydrat-Eiweiß-Verhältnis von 4:1
 
- Ausreichend und natriumreich trinken
 
Passive Erholung: ausreichender Schlaf, Power-Naps von 20 bis 30 Minuten
 
Maßnahmen wie Massagen oder Saunbesuche: dienen vor allem auch zur psychischen Regeneration
 
Kältebäder und wechselwarme Duschen: diese können den Abbau von Stoffwechselprodukten verschnellern
 
Alternativsport in der Saisonpause: Joggen, Schwimmen, Skilanglauf, Ballsport, Krafttraining, Klettern

 

Quelle: 

Foto: Cor Vos

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